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Köln

Laras Mutperlenkette gegen den Krebs

04.12.2019
Laras „Mutperlenkette" ist über sieben Meter lang. Die Zweitklässlerin: „Ich kenne niemanden, der eine längere hat"
Laras „Mutperlenkette" ist über sieben Meter lang. Die Zweitklässlerin: „Ich kenne niemanden, der eine längere hat"

591 Perlen hat Lara (7) schon aufgefädelt. Die roten stehen für einen Pieks, die blau-weißen für eine Operation, und bei einer Chemotherapie gab es immer gleich mehrere: die mit den großen Glubschaugen zum Start, und die mit dem grünen Punkt in der Mitte für jeden einzelnen Behandlungstag. Laras „Mutperlenkette“ ist mehr als sieben Metern lang …

591 Perlen hat Lara (7) schon aufgefädelt. Die roten stehen für einen Pieks, die blau-weißen für eine Operation, und bei einer Chemotherapie gab es immer gleich mehrere: die mit den großen Glubschaugen zum Start, und die mit dem grünen Punkt in der Mitte für jeden einzelnen Behandlungstag.

Laras „Mutperlenkette“ ist mehr als sieben Metern lang und der beste, bunteste Beweis dafür, dass die Zweitklässlerin aus Köln stärker ist als der Krebs. Dass sie kämpft. Perle um Perle. Schon die Hälfte ihres jungen Lebens.

Jede der kleinen Kügelchen steht für eine Untersuchung, eine Behandlung, einen Meilenstein seit der Diagnose, die im September 2015 den Familienurlaub in Oberstdorf (Bayern) in einen Alptraum verwandelte.

<strong>Der Krankheitsverlauf in bunten Perlen: Lara zeigt die knapp 600 Perlen</strong><br>Foto: Patric Fouad
Der Krankheitsverlauf in bunten Perlen: Lara zeigt die knapp 600 Perlen Foto: Patric Fouad

„Lara hatte schon den ganzen Sommer immer wieder Schmerzen im Bein“, erzählt Mama Michaela (37). Der Kinderarzt zu Hause aber hatte aber von Magendarm-Infektion bis Blasenerkältung nur Verdachtsdiagnosen parat. „In Bayern bekam sie Fieber und so heftige Schmerzen in der Wade, dass wir erst zum Arzt, dann in die Klinik fuhren.“ Die Familie wird weitergeschickt – in die Kinderklinik nach Kempten. „Aber auch hier untersuchte man Lara nicht richtig“, sagt Papa Bernd (42). Die Eltern bestehen bei einem ansässigen Kinderarzt darauf, dass Laras Blut untersucht wird. „Sie fahren jetzt bitte sofort nach Hause und melden sich heute noch bei der örtlichen Kinderkrebsstation“, sagt er, als er das Ergebnis hat, und verabreicht der damals knapp Vierjährigen die höchstmögliche Dosis Schmerzmittel, damit sie den Heimweg erträgt.

Die Nacht verbringt die Familie im Materialraum der Notaufnahme der Universitätsklinik Köln, weil kein Zimmer frei ist. Doch das ist noch das harmloseste, was in den kommenden Tagen geschieht: Die Onkologen finden heraus, dass der Tumor an Laras Nebenniere schon bis zum Hals hochgewachsen ist, mit 1,5 Kilogramm so schwer ist wie eineinhalb Pakete Mehl. Er drückt auf die Nerven im Bein – deshalb die Beinschmerzen, die keiner mit einem Befund im Bauchraum in Verbindung gebracht hatte.

,Neuroblastom im vierten Stadium‘, so steht es in den Akten. „Schlimmer ging’s nicht“, sagt Papa Bernd.

Lara zieht auf der Kinderkrebsstation ein, acht (!) Chemotherapien folgen in den kommenden Monaten, sie verliert ihre Haare, wie so viele Kinder in den Zimmern neben ihr. „Wir haben uns an den Rat der Ärzte gehalten und nicht gegoogelt“, sagt Michaela, „aber irgendwer sagte, dass ihre Heilungs-Chance bei 35 Prozent liegt. Es ist ziemlich schwer, bei so einer Aussage nicht den Teufel an die Wand zu malen.“

<strong>Februar 2016: Lara auf der Kölner Kinderkrebsstation. Durch die Chemotherapie hat sie ihre Haare verloren </strong><br>Foto: privat
Februar 2016: Lara auf der Kölner Kinderkrebsstation. Durch die Chemotherapie hat sie ihre Haare verloren Foto: privat

Lara aber freundet sich mit den anderen kleinen Patienten an, versprüht ihre gute Laune auf der Krebsstation, wenn sie nicht gerade isoliert vom Rest im Bett liegt und bricht, weil ihr übel von der Chemotherapie ist. Manchmal kommen neue Kinder dazu, manche aber gehen auch, einige für immer. „Dann haben die Schwestern immer eine Kerze aufgestellt“, erinnert sich Lara. „Die sind jetzt im Himmel und ihnen tut nichts mehr weh.“

Im Mai 2016 folgt eine elfstündige Tumor-OP, zum Schluss gibt es eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation ihrer eigenen zuvor gesammelten Stammzellen. Im Sommer wird Lara nach elf Monaten Krankenhaus entlassen, die Erhaltungstherapie läuft zu Hause weiter. Die Familie holt den Urlaub nach – alles scheint gut. Bis im Juli 2017. Bei einer Routinekontrolle wird ein Tumorrest im unteren Rücken entdeckt.

Zum Glück ist da Professor Dr. Matthias Fischer von der Uniklinik Köln. Sein Team (wird finanziell von BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ unterstützt) bringt Lara im August 2017 in eine Studie – die Nebenwirkungen sind zwar schwer absehbar, dennoch schlägt die neue, personalisierte Behandlungsmethode an: Seit Februar 2018 ist ihr Tumor inaktiv, im Sommer wird Lara regulär eingeschult, heute besucht sie die 2. Klasse.

Lara hat Freunde verloren in den vergangenen Jahren, war auf Beerdigungen von kleinen Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben sollten. Hanna (6) zum Beispiel, die im Januar 2017 nach einem Rezidiv mit sechs Jahren starb, und die Laras beste „Onko-Freundin“ war, wie es Vater sagt. Acht andere Krebskinder hat sie insgesamt kennengelernt in der Klinikzeit. Nur drei sind übrig geblieben – mit ihr.

Aber jetzt sind da auch die Freunde, die nicht krank sind, mit denen sie zur Tanzgruppe „Escher Mädchen“ und zum Judo geht. Mit denen sie sich nachmittags verabredet, wie jedes andere Kind ihrer Klasse. Der einzige Unterschied sind die vier dicken Medizin-Kapseln, die sie mit zum Playdate nimmt, wie andere eine Tüte Gummibärchen.

<strong>Vier große Tabletten muss Lara täglich schlucken. Für die Kölnerin gehört das inzwischen zum Alltag</strong><br>Foto: Patric Fouad
Vier große Tabletten muss Lara täglich schlucken. Für die Kölnerin gehört das inzwischen zum Alltag Foto: Patric Fouad

Für Lara selbst ist das normal – sie ist mit ihrer Krankheit aufgewachsen. Alle drei Wochen muss sie zur Blutuntersuchung, vier Mal im Jahr in die Röhre zum MRT und zur Knochenmarkspunktion, sie ist stabil. Ihre Eltern trauen sich trotzdem noch nicht, aufzuatmen. „Die Angst ist immer noch da“, sagt Mama Michaela.

Drei Babys hat sie seit 2015 verloren, 2017 kam Laras Bruder Max (1) zur Welt. „Er läuft hier so nebenbei mit“, sagt Papa Bernd. „Es geht schon noch immer viel um Lara. Ihr Kinderzimmer sieht aus, als würden da drei Kinder leben.“

Denn wann immer Lara etwas wollte – irgendjemand aus der Familie kaufte es. „Wir wussten ja nicht, wie viel Zeit wir noch haben, um ihr Geschenke zu machen“, sagt Michaela.

<strong>Lara mit ihrem kleinen Bruder Max (1) und ihren Eltern Michaela und Bernd </strong><br>Foto: Patric Fouad
Lara mit ihrem kleinen Bruder Max (1) und ihren Eltern Michaela und Bernd Foto: Patric Fouad

Wir sitzen mit Lara in ihrem Kinderzimmer, machen Fotos, Lara reitet auf ihrem Spielpferd, zeigt uns danach ihr Tagebuch, das mit einem Plastikschloss und Zahlencode gesichert ist. „Damit da keiner reinguckt“, sagt Lara, und verrät uns trotzdem, was ihr großer Wunsch ist. Sie wolle noch ganz viele von den Perlen mit den lachenden Gesichtern für ihre Kette sammeln. Die gelben Smileys, zeigt sie uns auf der Legende – sie stehen für die Geburtstage.

Um Kindern wie Lara zu helfen, forscht Prof. Dr. Matthias Fischer mit seinem Team an der Uniklinik Köln nach neuen Krebstherapien. Dafür werden dringend Spenden für die Forschung und Rettung der Kinder benötigt. „Ein Herz für Kinder“ will diese Arbeit weiter unterstützen – helfen Sie uns dabei?

Themen: Chemotherapie Krebs